Rumänien und die Auswirkung der Europa-Wahl

Haben die „Sozialdemokraten“ die Europawahl verloren? Gegenüber der Wahl im Mai 2014 hat die Partei zwei Sitze und knapp 15 Prozent der Stimmanteile verloren – aber nur 50.000 Wähler. Diese und andere Fragen diskutierten in der vergangenen Woche Dr. Christian Schuster, Dr. Roxana Stoenescu (Babeş-Boylai-Universität) und Raimar Wagner (Friedrich-Naumann-Stiftung) zusammen mit Ciprian Ciocan (Fundaţia Comunitară Sibiu) im Hermannstädter Gespräch zum Thema „Die Auswirkungen der EU-Wahlen auf die Entwicklung Rumäniens“.

Das Ergebnis der PSD war eine Niederlage, wie die Partei es auch selbst bezeichnete, und doch hat sie zwei Seiten. Denn die langjährige Regierungspartei hat es, trotz der seit über zwei Jahren andauernden Proteste, die sich zuletzt noch einmal verschärft hatten, geschafft, die eigene Wählerbasis weitestgehend zu mobilisieren und die Stimmenanzahl von vor fünf Jahren zu halten. Wie Dr. Christian Schuster von der Babeş-Boylai-Universität erklärte, ist trotzdem ein absteigender Trend für die „Sozialdemokraten“ zu erkennen. Dazu ist ein Blick auf die Lokalwahlen und Parlamentswahlen 2016 sowie die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2014 notwendig. Denn zum Vergleich zwischen den Wahlergebnissen 2014 und 2019 gehört auch der Fakt, dass in diesem Jahr 3,4 Millionen Menschen mehr ihre Stimme abgegeben haben als fünf Jahre zuvor. Und trotzdem hat die PSD 50.000 Stimmen verloren. Die diesjährige Wahlbeteiligung war gegenüber den Parlamentswahlen der vergangenen Jahre bedeutend höher. Vor drei Jahren erreichten die „Sozialdemokraten“ 2,9 Millionen Stimmen bei den Lokalwahlen (Wahlbeteiligung: 48,4 Prozent) und fast sensationelle 3,2 Millionen Stimmen bei den Parlamentswahlen Ende 2016 (Wahlbeteiligung: 39,4 Prozent) – nach dem Brand im „Colectiv“, dem Rücktritt der Regierung Ponta und einer einjährigen Übergangsregierung. Trotz einer höheren Wahlbeteiligung hat die PSD gegen-über den letzten Wahlen also massiv Wählerstimmen verloren. „Eine schlechte Regierung reicht nicht, es braucht auch jemanden der darauf zeigt“, konstatierte Schuster, und bezog sich dabei in erster Linie auf die „Union Rettet Rumänien“ (USR), für die er selbst als stellvertretender Vorsitzer in Klausenburg/Cluj-Napoca amtiert.

Der Dozent an der Fakultät für Europastudien zeigte im Verlauf des Gespräches auch eine der Konfliktlinien auf, die im Land momentan sehr präsent ist. Denn für die Allianz USR/PLUS, so Schuster, ziehen Abgeordnete ins Europäische Parlament ein, die von der europäischen Idee und der Europäischen Union begeistert sind und die in Rumänien für demokratische Teilhabe gekämpft haben. Andererseits „gibt es in Rumänien viele arme Menschen, für die Korruption kein Problem ist, sondern die Lösung.“
Raimar Wagner erklärte, dass es die Regierungskoalition in den vergangenen zwei Jahren geschafft hat, alle Menschen im Land wütend zu machen. Dabei fokussierte sich die Abneigung ganz auf Parteichef Liviu Dragnea und zu einem gewissen Maße auch auf Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă. Der einst starke Mann der PSD sitzt seit vergangener Woche im Gefängnis. Wird es der Opposition, nach dem Verlust ihres größten Gegenspielers, auch bei den anstehenden Wahlen gelingen, die Menschen an die Urnen zu bringen? Bereits im Spätherbst stellt sich Klaus Johannis zur Wiederwahl. Wagner hält zudem vorgezogene Parlamentswahlen zu Beginn des nächsten Jahres für realistisch. Im Sommer stehen dann die Lokalwahlen an, bei denen die „Sozialdemokraten“, gerade im ländlichen Raum, für gewöhnlich ihre Wähler in besonders hoher Zahl mobilisieren können.

Dr. Roxana Stoenescu sieht trotzdem gerade jetzt gute Chancen für einen politischen Machtwechsel. Es gebe eine mittlere Generation, die schon vor 20 Jahren in den Studentenprotesten aktiv war und die heute andere Anforderungen an den Staat stellt – z.B. Gesundheitsvorsorge für das Alter –, welche noch immer nicht erfüllt sind. Dazu habe die junge Generation mit den Protesten der vergangenen fünf Jahre gezeigt, dass sie politische Veränderungen erzwingen kann. Durch das Entstehen der USR hat die zivilgesellschaftliche Bewegung darüber hinaus auch selbst politische Macht erlangen können, stellt die Dozentin am Departement für Internationale Beziehungen und Deutsche Studien heraus. Allerdings, fügte Dr. Christian Schuster hinzu: „Wenn man als Protestbewegung politisch wird, dann muss man verstehen, dass die Zivilgesellschaft die Opposition ist. Nicht alle Demonstranten stellen sich automatisch auf die „gute“ Seite.“ Die Zivilgesellschaft ist also nicht nur Opposition zur PSD, sondern auch zur USR und damit insgesamt ein wichtiges Korrektiv im politischen Wettbewerb.