„Wir sind hier”
Selten war die Mühlbacher Stadtpfarrkirche so voll wie an diesem Tag. Überall schmucke Spitzenhäubchen, Stickhemden, Bauernzöpfe und bunte Bänderdas Sachsentreffen. Als die Stimmen sich zum Halleluja erheben, begleitet von der gewaltigen Orgel, erbebt das Kirchenschiff in vereintem Klang. Er unterstreicht die kraftvolle Botschaft der Menschen, die sich hier zum 24. Sachsentreffen, erstmals in Mühlbach/Sebeş abgehalten, unter dem Motto „Wir sind hier” versammelt haben.
Gemeinsamkeit und Sorge füreinander tragen ist auch das Thema der Predigt von Dechant Wünsch und der Ansprache von Pfarrer Dahinten. Der Bischof der evangelischen Landeskirche A.B., Reinhart Guib, freut sich über die rege Teilnahme selbst nach 24 Jahren: Die Sachsengeschichte ist nicht zu Ende mit der Auswanderung, die alte Heimat nicht vergessen. Seine Frage, „Gibt es Hoffnung, dass viele uns auch hier in Zukunft zur Seite stehen?”, unterstreicht er mit einem Angebot: Die evangelische Landeskirche A. B. bietet ausgewanderten Sachsen die Zweitkirchenmitgliedschaft an, in Absprache mit den evangelischen Kirchen in Deutschland und Österreich könne man sie in der Heimatgemeinde anmelden. Der starke Gemeinschaftsssinn der Siebenbürger Sachsen zeigt sich aber auch in der Vernetzung der Institutionen: die Kirche und das Forum. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR), so der Bischof, gab auch der Kirche stets ein Sprachrohr. Beispiele sind Projekte wie „Glauben und Gedenken” zum Anlass der Heimatvertriebenen 1944, oder „Entdecke die Seele Siebenbürgens”, das sich an Rumänen sowie an ausländische Reiseveranstalter wendet und die Gründung der Kirchenburgenstiftung, die zwei Staatspräsidenten als Schirmherrn gewinnen konnte: Joachim Gauck und Traian Băsescu. Solidarität verlangt auch das gemeinsame Schwerpunktthema 2015 zum „Jahr der Bildung”: Ziel ist, sich für ein hohes Niveau der deutschsprachigen Schulen und Studiengänge einzusetzen.
Dem Festgottesdienst folgten zahlreiche Veranstaltungen für die in- und ausländischen Besucher: Kirchenführung, Stadtführung, musikalische Darbietungen des Bläsertrios „Trio Pastores” und der Gesangsgruppe „Sälwerfäddem”, ein prächtiger Trachtenumzug und Tänze im abgesperrten Stadtzentrum. Für einen Tag verwandelte sich Mühlbach in ein brodelndes, fröhliches Volksfest. Beim Festakt im Kulturhaus, moderiert vom Vorsitzenden des Siebenbürgenforums Martin Bottesch, betonte der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk, die Solidarität der Siebenbürger Sachsen über die Landesgrenzen hinaus sei keine Selbstverständlichkeit. Bräuche, Kultur und steinerne Zeugen ihrer Vergangenheit seien trotz der Verstreutheit ihrer Mitglieder in alle Welt hier lebendig geblieben. Zu würdigen auch der historisch bedingte Einsatz für die Allgemeinbildung: Die Tradition deutscher Schulen – längst auch offen für die rumänische Bevölkerung – erfreue sich hoher Nachfrage. Die Botschaft wolle das Engagement zur Erhaltung des Niveaus des deutschsprachigen Unterrichts nach Kräften unterstützen.
Spürbare Dynamik für die Zukunft
MdB Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, übermittelte die Grüße von Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière und betonte die Brückenfunktion der deutschen Minderheit aus Rumänien. „Wir sind hier”, sei nicht nur selbstbewusstes Bekenntnis, sondern auch ein Weckruf nach Berlin und Bukarest. Man spüre die Dynamik dieser Volksgruppe für die Zukunft, bei der Heimatgefühl, Identität und Glaube in einer ausgewogenen Balance zueinander stehen, meint Koschyk. So wolle man gerne zurückrufen: „Und wir an Ihrer Seite!” In Bezug auf die Präsidentschaftskandidatur des Hermannstädter Bürgermeisters Klaus Johannis verwies Koschyk auf das Beispiel des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, der der slawischen Minderheit der Sorben angehöre – für die Deutschen kein Problem, sondern gelebte Normalität in einem modernen Europa. So sei auch die Unterstützung der Kandidatur von Johannis seitens rumänischer Bürger ein Zeichen in diese Richtung. MdB Dr. Bernd Fabritius betonte, das Motto „Wir sind hier” sei eine der stärksten Feststellungen der letzten Zeit. Er fühle sich bemüßigt, zu bestärken: „Und wie wir hier sind!” Die Kandidatur von Johannis sei ein historischer Augenblick – Zeit, in Rumänien wieder Verantwortung zu übernehmen.
Der hessische Landtagspräsident Norbert Kartmann betrachtet die Kandidatur von Johannis als zusätzliches Atout für das Image Rumäniens. „Ich werde in Deutschland oft gefragt, wie es denn in Rumänien so läuft”, illustriert er. „Wenn ich dann sage: ‚Der Bürgermeister von Hermannstadt kandidiert als Präsident’, kommt als Antwort: ‚Na, dann ist ja alles gut!’” Die hoffnungsvollen Aussagen im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen unterstrich der Abgeordnete im rumänischen Parlament Ovidiu Ganţ mit der „Überraschung”, der Tag sei ein dreifach symbolischer: 24. Sachsentreffen, 25jähriges DFDR-Jubiläum, „und ausgerechnet heute hat der Hermannstädter Bürgermeister Klaus Werner Johannis seine Kandidatur zum Präsidenten Rumäniens mit über 2 Millionen Unterschriften eingereicht.”
Eine 25-jährige Erfolgsgeschichte
Auf das Motto „Wir sind hier” ging DFDR-Geschäftsführer Benjamin Józsa in einer rhetorisch brillianten Rede ein: Wer sind WIR, wo ist HIER? Das WIR war früher leicht zu definieren: die deutsche Gemeinschaft in Rumänien im Vergleich zu den anderen, den Rumänen, Ungarn, Roma… Doch allen Unkenrufen zum Trotz sei man auch nach der Auswanderung eine Gemeinschaft geblieben, habe das Sachsentum nicht an der Grenze abgegeben. Das neue WIR schließt nun das Phänomen einst ausgewanderter Wiederkehrer ein, aber auch die hier lebenden Deutschen, Österreicher oder Schweizer. Und weil das WIR eine lange Tradition der Aufnahme neuer Teilnehmer hat, so Józsa, sind auch die Schüler der deutschen Schulen und Tanzgruppen Teil dieses neuen WIR.
Zum HIER, auch im zeitlichen Sinne, sei in 25-jähriger Forumsarbeit erreicht worden, was zuvor niemand zu träumen gewagt hatte. „Wir sind be- und geachtete Ansprechpartner in Rumänien, haben Bürgermeister und Lokalräte, einen Abgeordneten im rumänischen Parlament und einen im Bundestag, und nun einen Präsidentschaftskandidaten.” Kirche und HOG setzen sich erfolgreich für die Bewahrung des Kulturguts ein. Resümee: Die 25 Jahre waren nicht verloren, sondern eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.
Besondere Verdienste
Der Mühlbacher Bürgermeister Adrian Alexandru Dăncilă dankte vor allem Ovidiu Ganţ wegen seiner Unterstützung bei der Niederlassung von Daimler, was bedeutende Investitionen für die Stadt bedeutete. Mühlbach sei aktuell laut „Ziarul financiar” an die vierte Stelle betreffend EU-Investitionen pro Einwohner aufgerückt. Mit dem goldenen Ehrenwappen des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland wurden der Bürgermeister von Schönau, Ioan Horşia, und Hans Gärtner, Vorsitzender der HOG Schönau und Bundesvorsitzender der Heimatortsgemeinschaften, ausgezeichnet. Zur 600-Jahr-Feier in Schönau wurde gemeinsam mit den heute rumänischen Bewohnern eine Ortsmonografie herausgegeben, die sächsischen ehemaligen Einwohner von den rumänischen Besitzern in ihre alten Häuser eingeladen, um dort zu wohnen. Eine Bereicherung für beide Seiten – ein Beispiel, das Schule machen sollte. Gärtner betonte, sich generell um eine stärkere Präsenz der HOGs in Rumänien einsetzen zu wollen.
Krönender Abschluss war die Verleihung der Honterusmedaille an den DFDR-Vorsitzenden Dr. Paul-Jürgen Porr durch das Siebenbürgenforum. Die Laudatio hielt Hans Klein. Porr, der die Medaille seinerzeit konzipiert und die Auszeichnung ins Leben gerufen hatte, konnte jedoch in den 18 Jahren, in denen er als Vorsitzender des Siebenbürgenforums amtierte, selbst nicht ausgezeichnet werden. Die längst überfällige Verleihung wurde mit langjährigem, vielfältigem Engagement begründet. Der Mediziner und Forscher blickt nicht nur auf eine beachtliche Fachkarriere zurück – 34 Bücher, Kongresse und Publikationen, seit 2006 Chefarzt der medizinischen Klinik in Hermannstadt, sondern findet neben Familie und Beruf auch noch Zeit für seine Tätigkeiten als Kreisratsmitglied und als Vorsitzender der rumänisch-deutschen Kulturgesellschaft. Nachdem Bischof Guib die vorbehaltlose Zustimmung des Landeskonsistoriums zur Verleihung der Medaille mitgeteilt hatte, applaudierte das Publikum mit „standing Ovations”. Auch eine Art zu zeigen: „Wir sind hier“.