Sachsentreffen lässt Reener Ländchen leben

„Mit Mut und Rat auch in der Tat“

Die gotische Kirche strahlt, geschmückt wie eine Braut, die auf ihren Bräutigam wartet: vollbesetzte Bänke, Trachtenhüte, Zöpfe mit bunten Bändern geschmückt, von der Empore hängt stolz die Siebenbürgen-Fahne. Es ist ein besonderer Tag, der das nordsiebenbürgische Städtchen Sächsisch-Regen/Reghin am 24. September aufblühen und leuchten lässt. Zum 26. Sachsentreffen bevölkern schmucke Trachten die Straßen, Blasmusik- und Tanzgruppen erobern den Marktplatz. Es ist mehr als ein fröhliches Volksfest, mehr als nur ein Wiedersehen der Siebenbürger Sachsen in der alten Heimat, mehr als ein jährliches Kulturspektakel. Sondern Zeugnis eines seltenen, ja vielleicht einzigartigen Phänomens: der ungebrochenen Verbundenheit einer seit über 26 Jahren in alle Windrichtungen verstreuten Gemeinschaft, die über das prophezeite Ende ihrer Geschichte einfach hinwegschreitet.

„Mit Mut und Rat auch in der Tat“ war das Motto des diesjährigen Sachsentreffens, zu dem sich etwa 2000 Gäste aus Rumänien, Deutschland und Österreich einfanden – in einem sonnigen Sächsisch-Regen, dem Namen zum Trotz. Wie immer beginnt der Tag mit einem Gottesdienst in der evangelischen Kirche, gefolgt vom Aufmarsch der Trachtengruppen. Neben den Vertretern des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), der Verbände und Heimatortsgemeinschaften aus Deutschland und Österreich, ehrten auch Gäste aus Politik und Diplomatie das Fest: der stellvertretende Premierminister Vasile Dâncu, der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk, sein österreichischer Amtskollege Mag. Gerhard Reiweger, der Bundestagsabgeordnete Dr. Christoph Bergner, die Hermannstädter Bürgermeisterin Astrid Fodor und ihre Regener Amtskollegin Maria Precup.

Es gibt noch Sachsen in Nordsiebenbürgen

Erinnerungen hängen in der Luft: Der 85-jährige Michael Linder ist mit 13 Jahren und drei kleinen Geschwistern im Pferdewagen zu Fuß von Regen nach Österreich geflüchtet. Heute ist er mit Sohn Dietmar als Mitglied der Trauner Blasmusikkapelle hier. Folkmar Alzner aus Linz kommt etwa alle drei Jahre nach Sächsisch-Regen – sein Elternhaus ist heute der Sitz des Deutschen Forums. Dort zieren Bilder von acht deutschen Gemeinden des Reener Ländchens den Eingangsbereich: Ludwigsdorf/Logig, Weilau/Uila, Botsch/Batoș, Deutsch Zepling/Dedrad, Obereidisch/Ideciu de Sus, Niedereidisch/Ideciu de Jos, Birk/Petelea und natürlich Regen. Dass es hier keine Kirchenburgen mehr gibt, sondern „nur“ noch Kirchen, weil die unnütz gewordenen Wehranlagen von den pragmatischen Bewohnern geschliffen und ihre Steine zum Bau von Schulen und Rathäusern verwendet wurden, wie Stadtpfarrer Dieter Kraus aus Bistritz in seiner Predigt vermittelt, darf über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Das Reener Ländchen lebt!

Umso mehr in den letzten zehn Jahren und vor allem dank dem Regener Pfarrer Johann Zey, wie Bischof Reinhart Guib erklärt: Die Pfarrgemeinde Reen sei für ihn eine Art Modell. Hier sei es gelungen, die wenigen verbliebenen Deutschen – denn die Mehrheit der Nordsiebenbürger Sachsen wurde 1944 nach Deutschland und Österreich umgesiedelt und nur wenige sind zurückgekehrt – und die übrigen Mitglieder der etwa 700 Seelen zählenden evangelischen Pfarrgemeinde zu einer echten Gemeinschaft zu verbinden. „Dazu gehören auch die sächsischen Zigeuner in Weilau/Uila oder die rumänisch geprägten Birkner.“ Hier hat man es auch geschafft, innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt die Kirchen und Schulen, die für die Gemeinschaft noch wichtig sind, zu erhalten und zu renovieren. Der Kinderchor, der zum Gottesdienst „Ich lobe meinen Gott von Herzen“ in perfektem Deutsch schmettert und so manchem eine Träne entlockt, wie gleich zwei Festredner später bemerken, unterstreicht die Worte des Bischofs. Wird Nordsiebenbürgen oftmals totgesagt – das Reener Ländchen lebt!

Heimat hat viele Gesichter

Mit Musik setzt sich der Trachtenzug in Bewegung: Bläsergruppen aus Traun („Die lustigen Adjuvanten“), Kronstadt („Burzenländer Blaskapelle“) und Bistritz („Harmonie“), die Tanzgruppe „Regenbogen“ (Bistritz), die Trachtengruppen des Forums aus Hermannstadt und Regen; auch „Comuna Batoș“ (Botsch) und „Colegiul National Decebal“ ist auf den Schildern zu lesen. Zwei besonders prächtige Trachten müssen für ein Foto Modell stehen: die weiße Sommertracht aus Lechnitz/Lechința und die blaue Wintertracht aus Bistritz, erklären die Trägerinnen stolz, die zwar keine Sächsinnen, doch eingefleischte Siebenbürgenfans sind. „Wir machen jedes Jahr Urlaub in Siebenbürgen“, strahlt Manuela Lederer aus Traun, deren Mann aus Neppendorf stammt. Und bemerkt viele Parallelen zu Österreich – zu dem, was ihre Großeltern erzählten: „Für uns ist es wie eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit.

“Heimat hat viele Gesichter. Mit einer tragischen Seite befasst sich die Mundart-Theatergruppe aus Geretsried unter Leitung von Johann Depner. Das Thema in dem Singspiel, „De Himat reft“ von Gunda Heitz-Werner beruht auf wahren Begebenheiten: die Trennung vieler Familien bei der Rückkehr von der Deportation. Zur alten Familie nach Siebenbürgen zurück oder bei der inzwischen neu gegründeten bleiben, mit diesem Konflikt trägt sich Hauptheld Hans im Deutschland der 60er Jahre. Das besondere: Jeder Schauspieler spielt in der Tracht seines Herkunftsorts und spricht seinen eigenen Dialekt.

Eine Ausstellung eigenwilliger Streich- und Zupfinstrumente im Rathaus, produziert von den lokalen Instrumentenbauern Hora und Gliga, eine Kirchenführung mit Blick in die Heimatstube, Programme für Kinder und Jugendliche sowie ein Open-Air Konzert von Ricky Dandel gehörten zum Repertoire des Fests. Leider deckte sich das Konzert zeitlich mit den Festreden im Kulturhaus – schade für beide Seiten!

Deutsches Schulwesen: Modell für ein zukünftiges Europa

Vizepremier Dâncu betonte in seiner Rede die Bedeutung der deutschen Minderheit als Partner für die Entwicklung einer Zukunft in Rumänien. Ein wichtiges Beispiel sei die duale Ausbildung, ein von Botschafter Lauk und dem Abgeordneten Ovidiu Ganț initiiertes Projekt, umgesetzt in Hermannstadt, Kronstadt und Temeswar, das man dieses Jahr auf Regierungsebene weiterentwickelt habe und auf das ganze Land ausdehnen wolle.

DFDR-Vorsitzender Dr. Paul-Jürgen Porr betonte, das Motto des heutigen Sachsentreffens gälte nicht nur für dieses, sondern für die Aktivitäten des Forums in den letzten 26 Jahren, in denen man über den Tellerrand hinausblickte und auch Probleme der rumänischen Mehrheit zu lösen versuchte, Beispiele: EU-Beitritt und Präsidialamt. „Bleibt zu hoffen, dass Europa sich in den nächsten Jahren seiner Werte besser bewusst wird – ein Europa, in dem wir alle Minderheiten sind“, schließt Porr.

Auch Botschafter Lauk greift die Schlüsselbegriffe des Tagesmottos auf: Mut sei nötig gewesen, sich dem Exodus nicht anzuschließen, an eine Zukunft in Rumänien zu glauben und das deutsche Forum zu gründen. Guter Rat kam von MdB Bergner in dessen Zeit als Beauftragter der Bundesregierung für Minderheitenfragen: dass der Schlüssel zum Erhalt der Identität einer Minderheit Muttersprache und Bildung sind. Nur so habe es zu einer „kaum vorstellbaren politischen Entscheidung“ kommen können: dem Beschluss des Bundestags, das deutsche Schulwesen in Rumänien zu unterstützen, mit 750.000 Euro im letzten und einer Million in diesem Jahr! Für stets guten Rat dankte der zum Jahresende aus dem Amt scheidende Diplomat dem Abgeordneten Ovidiu Ganț: In einen Politiker Vertrauen haben zu können sei ein hohes Gut in Rumänien.

Festrednerin Christiane Neubert, Vorsitzende der Kulturkommission des Siebenbürgenforums, definierte anhand von Beispielen aus dem Alltag, wie Mut, Rat und Tat einander zwingend bedingen. Fazit: Mut und Tat haben ein gewaltiges Potenzial – ohne guten Rat sind sie gefährlich.

Nach den Reden der HOG- und Verbandsvorsitzenden hielt Ovidiu Ganț die Laudatio auf Dr. Christoph Bergner. Gemeinsam mit Martin Bottesch, der die Veranstaltung moderierte, habe dieser die Unterstützung des Bundestags für das deutsche Schulwesen erwirkt, bereits zweimal ausbezahlt und es gäbe guten Grund für eine Fortsetzung. Die Ehrung erfolgt für jahrzehntelange Unterstützung auch über die Amtszeit als Minderheitenbeauftragter hinaus.

Der Geehrte betonte, Rumänien sei eine löbliche Ausnahme für die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa stark verschlechternde Lage der Minderheiten im Hinblick auf die Bewahrung ihrer Sprache. Selbst zur Zeit Ceaușescus habe es ein deutsches Schulwesen gegeben, seine Ursprünge reichten bis ins Mittelalter zurück. Diese Tradition müsse erhalten bleiben – auch als Vorbild für andere Minderheiten in Europa, und als wichtiger Beitrag für die kulturelle Zukunft Europas. „Denn wenn wir die Einigung ernst nehmen, wird Europa ein Zusammenschluss von Staaten mit einer Vielfalt von Sprachen sein, wo Muttersprachlichkeit, Mehr- und Minderheitensprachlichkeit nebeneinander existieren, wie es hier in Rumänien traditionell der Fall ist.“

[Aus der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien, geschrieben von Nina May]