Diesmal nicht auf Wolke Siebenbürgen … sondern „in medias res“
„Ein Jahr nach dem weltweiten Sachsentreffen sehen wir uns wieder ‘in medias res’ – in Mediasch“, beginnt Bischof Reinhart Guib seine Predigt mit einem Wortspiel. Es bezieht sich auf das Motto der diesjährigen Zusammenkunft: „100 Jahre in Rumänien“. Ein wenig verwirrend auf den ersten Blick, sind die Siebenbürger Sachsen doch seit fast 900 Jahren vor Ort! Gemeint sind jedoch die letzten hundert Jahre, seit Siebenbürgen zum Staat Rumänien gehört. Der Wille der Siebenbürger Sachsen, der für den Anschluss an das damalige Königreich Großrumänien eine bedeutende Rolle spielte, war in Mediasch in Worte gefasst und unterzeichnet worden. So steht die Stadt an der Großen Kokel selbstverständlich auch 100 Jahre später wieder „in medias res“ – in der Mitte der Dinge – zum 28. Sachsentreffen am 22. September 2018.
Ein strahlender Samstagmorgen: In der übervollen Margarethenkirche begrüßt Pfarrer Gerhard Servatius-Depner die Ehrengäste: der Leiter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr, DFDR-Abgeordneter Ovidiu Ganț, Präsidentenberater Sergiu Nistor, Bundesbeauftragter Dr. Bernd Fabritius, Herta Daniel, Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen und seit 2018 Vorsitzende der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen, Manfred Schuller, Obmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Hans Gärtner, bis vor Kurzem Vorsitzender des Verbands der Heimatortsgemeinschaften (HOG) und seine Nachfolgerin Ilse Welther, der deutsche Botschafter Cord Meier-Klodt, die Bürgermeisterin von Hermannstadt/Sibiu, Astrid Fodor, und ihr Amtskollege Torsten Zugehör aus der Lutherstadt Wittenberg. Von der Orgelempore tönen die Stimmen des Bellevue-Chors aus den USA, des Mediascher und des ungarisch gemischten Chors durch das gewaltige Kirchenschiff.
Vor einem Jahr stand das weltweite Sachsentreffen unter dem Stern eines noch größeren Jubiläums, 500 Jahre Reformation, erinnert Bischof Guib. Was sind 100 Jahre im Vergleich dazu, oder zu den 900 Jahren in Siebenbürgen und 2000 Jahren Christentum? „Siebenbürgen ist eine Insel im Meer der Zeit.“
Zusammenhalten und Gutes bewirken
So mancherlei Herausforderung spülten die Wellen der letzten 100 Jahre an ihren Strand: Krieg, Deportation, Agrarreform, Enteignung, Kommunismus, Auswanderung. So manche Woge schlägt auch heute noch unerwartet über den Köpfen der Deutschen in Rumänien zusammen. Etwa die wiederholten Diffamierungen der deutschen Minderheit durch Mitglieder der rumänischen Regierungspartei und ihr nahestehende Medien, die Dr. Paul-Jürgen Porr, Ovidiu Ganț und Bernd Fabritius in ihren Grußworten verurteilen. „Doch wir sind nicht geblieben, um aufzugeben, sondern um weiterhin etwas zum Guten zu bewegen“, erinnert Bischof Guib und plädiert dafür, Werte wie Frieden, Toleranz, Ehrlichkeit und Fleiß auch in schwierigen Zeiten hochzuhalten.
Längst sind die Siebenbürger Sachsen nicht mehr nur auf ihrer Insel, sondern in alle Welt verstreut. Das Sachsentreffen von 2017 in Hermannstadt stärkte ihren weltweiten Zusammenhalt, betont Herta Daniel in ihrer Rede. Und fügt ein weiteres Jubiläumsdatum als Grund zum Feiern an: Vor 35 Jahren wurde die weltweite Föderation der Siebenbürger Sachsen gegründet. „Die Siebenbürger Sachsen gehören zusammen, egal in welchem Teil der Welt.“
Ebenfalls auf das große Sachsentreffen 2017 geht die diesjährige Verleihung der Honterusmedaille des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen zurück, verrät dessen Leiter, Martin Bottesch. Geehrt wird Hans Gärtner, der die – erfolgreiche – Idee hatte, vor allem die Jugend dafür einzuholen. Auch in der Organisation, als Manager und Verhandlungspartner für Verträge mit Firmen stand er im Mittelpunkt des Geschehens. Als Vorsitzender des HOG-Verbands bis 2017 – ein Ehrenamt, das er aus beruflichen Gründen aufgeben musste – hatte sich Gärtner stets für die Kooperation der HOGs mit den lokalen Bewohnern der Heimatgemeinden in Siebenbürgen eingesetzt, aber auch für den Erhalt der Kirchenburgen als „moralische Pflicht der ausgewanderten Sachsen“.
Mitbegründer des Landes, nicht Eingeladene
Die Hintergründe der Mediascher Anschlusserklärung vom 8. Januar 1919 erläutert der Historiker Dr. Harald Roth, Leiter des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam, der selbst aus Siebenbürgen stammt. Er erinnert, dass die Margarethenkirche in Mediasch damit nicht zum ersten Mal „in medias res“, im Zentrum der Dinge, stand: 1575 erfuhr hier der Fürst Siebenbürgens, Stephan Báthory, dass er zum König Polens gewählt worden war; 1840 wurde der heute noch bestehende Verein für siebenbürgische Landeskunde gegründet.
Die Anschlusserklärung der Siebenbürger Sachsen an Rumänien löste die Treuevereinbarung mit dem ungarischen Königreich ab, die 1224 erstmals, dann über die Jahrhunderte immer wieder und am 29. Oktober 1918 zum letzten Mal bestätigt worden war. Die Magyarisierungspolitik Ungarns wurde von den Nichtmagyaren zunehmend als Völkerkerker, empfunden, fasst Roth ihren Unmut zusammen. So dauerte es nur einen Monat, bis der Entschluss zum Anschluss an Rumänien gefasst war. Dies erleichterten die freundschaftlichen Netzwerke, die sich zwischen den nichtmagyarischen Völkern in Siebenbürgen im Kampf gegen die Budapester Regierung gebildet hatten und eine nachhaltige Perspektive zu bieten schienen, aber auch das Chaos, mit dem sich die Doppelmonarchie verabschiedet hatte: Not, Unsicherheit, Zustände schlimmer als im Krieg. Die den „mitbewohnenden Völkern“ von den Rumänen in Aussicht gestellten Rechte wurden in den Karlsburger Beschlüssen verbrieft und von König Ferdinand bestätigt. Warum der Anschluss bei den Siebenbürger Sachsen erst zu höchster Euphorie, dann aber doch zu herben Enttäuschungen führte, obwohl letztlich als Erfolgsgeschichte zu betrachten, wie der Vortragende resümiert, lesen Sie demnächst in der ADZ. Ein wichtiges Fazit zieht Roth: Die Siebenbürger Sachsen, und mit ihnen die Deutschen, sind durch den Anschluss an Rumänien ein konstitutives Element dieses Landes – und nicht nur Eingeladene! Ein Grund, das hundertjährige Jubiläum Rumäniens zu feiern. Aber auch ein Motiv, dies – wenn nötig – gelegentlich in Erinnerung zu bringen.
Harsche Kritik trübt Festtagsstimmung
„Vor 100 Jahren ist Rumänien zu uns gekommen – nicht wir nach Rumänien“. Mit diesem Zitat des kürzlich verstorbenen DFDR-Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Paul Philippi greift auch Dr. Paul-Jürgen Porr den Faden in seiner Rede nach dem Trachtenzug zur Festbühne am Hauptplatz auf. Und erinnert: „Beim Abkommen der Großmächte in Versailles war der Wille der Siebenbürger Sachsen offenbar das Zünglein an der Waage.“ Leider gäbe es derzeit wenig zu feiern, die Gesellschaft sei entzweit wie nie, kritisiert er die aktuelle Regierung. Fügt an: „Wenn die Politiker der Vereinigung das heutige Rumänien sehen würden, würden sie sich im Grab umdrehen.“ Präsidentenberater Sergiu Nistor übermittelt die Grüße von Staatspräsident Klaus Johannis und erinnert an dessen Worte zum großen Sachsenttreffen: „Die fundamentale Botschaft der Siebenbürger Sachsen ist, unermüdlich Gott zu suchen, sich für die Freiheit einzusetzen und Respekt vor dem anderen, Solidarität und Toleranz hochzuhalten“. Die Mediascher Erklärung sei ein bewusst eingegangenes Loyalitätsbekenntnis der Siebenbürger Sachsen mit dem rumänischen Staat, ihre Leistung beim Aufbau des Landes unverkennbar.
Dr. Bernd Fabritius überbrachte die Grüße von Bundeskanzlerin Angela Merkel und versicherte weiterhin den Beistand der Bundesregierung, erkennbar an der Zuteilung erheblicher Mittel zur Förderung der deutschen Minderheit, für die Jugend, den Erhalt von Sprache und Identität, aber auch soziale Belange wie Altersheime. Zum hundertjährigen Jubiläum bemerkte er, ohne den Beitrag der deutschen Minderheit gäbe es das heutige Rumänien in dieser Form nicht. Umso größer das Unverständnis über die Diffamierungskampagne seitens hoher Regierungsmitglieder, die das DFDR als Nachfolger einer Nazi-Organisation bezeichnete. Er habe sowohl an Premierministerin Viorica D²ncila als auch an Staatssekretär George Ciamba im Außenministerium geschrieben, mit der Aufforderung um Stellungnahme. Auch die jüngst erlassene diskriminierende Verordnung für Minderheitenschulen zeige, dass der Grundgedanke der Karlsburger Erklärung, in der die Rechte der Minderheiten festgehalten wurden, erneut in Erinnerung gebracht werden müsse.
Ovidiu Ganț betonte, die Würdigung der Hundertjahrfeier sei ein erneutes Loyalitätsbekenntnis der Siebenbürger Sachsen zum rumänischen Staat, verurteilte jedoch vehement die im Wahlkampf 2014 begonnenen, wiederholten Angriffe gegen den Präsidenten, das DFDR und die deutsche Minderheit. Das DFDR hatte den NATO- und EU-Beitrag unterstützt und werde sich auch weiterhin für ein demokratisches Rumänien nach westlichem Vorbild einsetzen. Botschafter Cord Meier-Klodt erinnerte daran, dass auch Außenminister Heiko Maas anlässlich seines letzten Besuches klar machte, die Angriffe gegen die deutsche Minderheit seien inakzeptabel. „Rumänien braucht Deutschland und die deutsche Minderheit als Partner“, erinnert der Diplomat. Trotz deutlicher kritischer Worte seitens mehrerer Redner wurde immer wieder das Prinzip Hoffnung betont – und der Wille, sich weiterhin für Demokratie, Toleranz und die Fortsetzung des beispielhaften Zusammenlebens der Ethnien in Rumänien einzusetzen. Resümee des 28. Sachsentreffens: Diesmal nicht „auf Wolke Siebenbürgen“…
Mediasch, trotzdem in Festtagsstimmung: Grüppchen spazieren schwatzend und lachend über den Platz, man trifft alte Bekannte und liebe Freunde. Das parallel stattfindende Weinfest, organisiert vom Mediascher Forum und dem Rathaus, lädt mit Ständen zur Verkostung von Rebensaft aus dem ganzen Land ein. So kann das Sachsentreffen mit offenem Ende doch noch fröhlich ausklingen. Sachsen, Rumänen und Touristen belagern Bierbänke und Strohballen und feiern gemeinsam in die laue Herbstnacht hinein.